Von Zero zur Doppelten Wesentlichkeit – Ein How To für die Umsetzung eines Double Materiality Assessments
Das Konzept der »doppelten Wesentlichkeit« oder »Double Materiality« haben wir bereits in verschiedenen Blogposts behandelt. Immer wieder wurde uns die Frage gestellt, welche Herangehensweise »die Beste« für die Umsetzung eines Double Materiality Assessment ist. In dieser letzten Folge zum Thema doppelte Wesentlichkeit greifen wir dies auf. So viel sei an dieser Stelle bereits verraten: Die beste Herangehensweise gibt es nicht, weil jedes Unternehmen in einer individuellen Nachhaltigkeitslandschaft agiert. Trotzdem glauben wir, dass der hier beschriebene Prozess ein guter Ausgangspunkt für die Kartierung dieser Nachhaltigkeitslandschaft ist – auch wenn er an die Anforderungen des jeweiligen Unternehmens angepasst oder ausdifferenziert werden muss. Wenn Sie Fragen zu unserem Beratungsangebot für die Planung und Begleitung eines Double Materiality Assessments haben, dann können Sie unter folgendem Link einen kostenfreien Discovery Call buchen.
Warum sich die Mühe lohnt, ein Double Materiality Assessment durchzuführen
Die Durchführung einer Wesentlichkeitsanalyse – insbesondere einer zur »Doppelten Wesentlichkeit« – ist komplex, benötigt Zeit und bindet Ressourcen. Lohnt sich die Mühe? Davon sind wir überzeugt. Schließlich liegt es im eigenen Interesse von Unternehmen, mehr über jene Nachhaltigkeitsaspekte zu erfahren, die wesentlich für sie sind oder sein können. Nur dann können proaktiv potenziell negative Auswirkungen mitigiert und ebenso positive Auswirkungen optimal genutzt werden.
Ein Assessment mit dem Fokus auf die doppelte Wesentlichkeit ist ein Prozess bzw. ein Werkzeug, das genau diese Anforderungen erfüllt. Nachhaltigkeitsaspekte können identifiziert und in Relation zu ihren Auswirkungen auf die Möglichkeit eines Unternehmens, langfristig Wertschöpfung zu generieren, genauso aber auch auf im Hinblick auf die Auswirkungen auf Stakeholder in eine Rangfolge gebracht werden.
Die Ergebnisse einer Wesentlichkeitsanalyse sind ein zentraler Baustein bei der Entwicklung einer langfristigen ESG- oder Nachhaltigkeitsstrategie, in der zum einen Prioritäten, aber auch Nachhaltigkeitsziele und strukturierte KPIs definiert werden.
Ein weiterer Aspekt ist das Stakeholder-Engagement. Die Interaktion mit Stakeholdern ist wichtig, um zum einen deren Blickwinkel und Prioritäten besser einordnen zu können. Zum anderen können damit auch Wege für eine gemeinsame Herangehensweise und die Lösung von Zukunftsherausforderungen geebnet werden – auch und gerade, wenn es bei unterschiedlichen Stakeholdergruppen verschiedene Prioritäten gibt.
In jedem Fall wird die alleinige Ausrichtung auf die Anforderungen von Investoren bzw. ausschließlich auf die finanzielle Wesentlichkeit nicht zu der dafür erforderlichen ganzheitlichen Sichtweise führen.
Recap: Doppelte Wesentlichkeit
Das Konzept der doppelten Wesentlichkeit ist sowohl im aktuellen Entwurf des zukünftigen europäischen Berichtsstandards ESRS als auch im GRI-Standard verankert. Kurz gefasst geht es darum die Frage zu klären, ob ein Nachhaltigkeitsaspekt Eingang in die Nachhaltigkeitsberichterstattung findet. Dies ist dann der Fall, wenn er entweder aus der Wirkungsperspektive (»Impact Materiality«), aus der Finanzperspektive (»Financial Materiality«) oder aus beiden Perspektiven wesentlich ist. (Mehr dazu hier)
Double Materiality Assessment – Die Umsetzung
Ein Double Materiality Assessment umzusetzen, scheint auf den ersten Blick eine große Herausforderung zu sein. Wir haben deshalb den Gesamtprozess in einzelne Schritte heruntergebrochen, um die Einstiegshürden so gering wie möglich zu halten.
Der wichtigste Schritt im gesamten Prozess? Das ist leicht zu beantworten: die Vorbereitung. Nicht nur, weil die Ergebnisse des Assessments genau überprüft werden – beispielsweise durch externe Auditoren im Rahmen der »Limited Assurance« (vor der Veröffentlichung) oder von unterschiedlichsten Stakeholdern (nach der Veröffentlichung). Um Reputationsrisiken zu vermeiden oder gar den Vorwurf von Greenwashing, ist deshalb eine gründliche Vorbereitung erforderlich, um optimal vorbereitet in den Prozess zu starten.
Schritt 1: Vorbereitung
Aus einer Wesentlichkeitsanalyse können viele wichtige Einblicke gewonnen werden. Damit diese ein Erfolg wird, müssen die zur Umsetzung erforderlichen Ressourcen bereitgestellt werden – und auch die notwendige »Rückendeckung« durch die Unternehmensführung. Eine gute Vorbereitung sorgt hier für die notwendige Transparenz und Übersicht über den Gesamtprozess.
Eine Liste der typischen Aufgaben in diesem Prozessschritt könnte also so aussehen:
- Zeitplanung: Wann soll / kann der Prozess starten? Welche Meilensteine müssen definiert werden? Welche Arbeitsschritte sind erforderlich und wann kann mit Resultaten gerechnet werden?
- Voraussichtlich werden nahezu alle Abteilungen mittel- oder unmittelbar in den Prozess eingebunden sein – unter Umständen über verschiedene Standorte und Ländergrenzen hinweg. Welche Schlüsselpersonen müssen aus den einzelnen Abteilungen eingebunden werden? Müssen dabei unterschiedliche Zeitzonen berücksichtigt werden? Wie kann die Teilnahme (etwa durch eine Webkonferenzlösung) sichergestellt werden?
- Wer soll den Prozess steuern und wie soll dies geschehen? Eine Steuerungsgruppe kann dafür ein Ansatz sein.
- Welche Rollen müssen darüber hinaus definiert werden und welche Entscheidungswege sind erforderlich? Wer nimmt diese Rollen ein und welche Verantwortlichkeiten ergeben sich daraus?
Schritt 2: Einfach starten!
Einfach starten gilt hier in zweierlei Hinsicht: Zum einen müssen Überforderungen durch eine zu steile Lernkurve (zu viel Information in zu kurzer Zeit) vermieden und zum anderen sollten gerade zu Beginn des Prozesses möglichst einfache und selbsterklärende Beteiligungsformate gewählt werden. In einem Kick-Off Meeting, das das Ziel hat, ein möglichst einfaches Onboarding für alle Teilnehmenden zu gewährleisten, können unter anderem Fragen von Teilnehmenden beantwortet, aber auch ein Ausblick auf den Prozess vermittelt werden.
Überforderungen vermeiden bedeutet in diesem Kontext auch, das Meeting möglichst kompakt zu organisieren. Eingangshürden können schon im Vorfeld abgebaut werden, in dem über das »Warum« und über das »Wie« bereits im Vorfeld informiert wird. Damit wird eine Einordnung von Prozess, Erwartungen und angestrebten Ergebnissen für die Teilnehmenden möglich und die Wichtigkeit ihrer Teilnahme wird klar kommuniziert. Das Kick-Off Meeting ist auch ein guter Zeitpunkt, die Steuerungsgruppe ins Leben zu rufen.
Schritt 3: Kartieren der Nachhaltigkeitslandschaft
Bevor die Frage gestellt werden kann, was denn »wesentlich« für ein Unternehmen ist, muss zunächst die Frage gestellt werden, welche Nachhaltigkeitsaspekte dafür potenziell infrage kommen.
Anders ausgedrückt: In diesem Prozessschritt geht es nicht darum festzustellen, was wesentlich ist, sondern darum Informationen über und Belege für potenzielle Wesentlichkeitsfaktoren zu sammeln. Die eigentliche Bewertung findet erst im nächsten Schritt statt.
Werkzeuge wie der »SASB Materiality Finder« oder die »MSCI Industry Materiality Map« sind für den Einstieg in die Kartierung der Nachhaltigkeitslandschaft eine gute Ausgangsposition, da diese branchenspezifische Wesentlichkeitsfaktoren aufgreifen.
Allein dabei sollte es aber nicht bleiben, wenn es darum geht Nachhaltigkeitsaspekte zu identifizieren, die potenziell wesentlich für ein Unternehmen sind. Weitere Anhaltspunkte ergeben sich beispielsweise aus Richtlinien, Verordnungen, Branchenreports, Berichten von Marktbegleitern, Trendanalysen und weiteren Quellen.
Das Ziel ist es, ein möglichst vollständiges Bild von potenziellen Wesentlichkeitsfaktoren zu erhalten – ob diese nun marktgetrieben sind oder auf regulatorische Anforderungen zurückzuführen sind. Stichworte reichen für die weitere Bearbeitung (vgl. nächster Schritt) nicht aus. Vielmehr müssen diese in einen entsprechenden Kontext eingebettet werden, um bei der anschließenden Bewertung auf diesen zurückgreifen zu können. In dieser Phase geht es um eine agnostische Herangehensweise, wobei der Schwerpunkt auf dem Sammeln und nicht auf der Bewertung liegt. Also lieber mehr Nachhaltigkeitsaspekte in die Betrachtung aufnehmen, als einen zu übersehen. Als Ergebnis dieses Arbeitsschritts liegt eine umfangreiche Übersicht aller potenziellen Wesentlichkeitsfaktoren vor.
Schritt 4: Assessment
In diesem Schritt werden die zuvor identifizierten potenziellen Wesentlichkeitsfaktoren daraufhin überprüft, ob sie entweder unter dem Gesichtspunkt der »finanziellen Wesentlichkeit« und/oder der »Impact Materiality« wesentlich für das Unternehmen sind. Dies erfolgt auf der Grundlage der im vorherigen Schritt erhobenen Informationen und Belege, die jetzt Aufschluss darüber geben, ob der Schwellwert überschritten und sich damit die Einstufung von »potenziell wesentlich« auf »wesentlich« ändert.
Die datengestützte Analyse ist auch vor dem Hintergrund der nach der CSRD erforderlichen »Limited Assurance« ein wichtiger Aspekt. Mit dieser wird sichergestellt, dass die Einschätzungen zur Wesentlichkeit substanziell mit Daten und Informationen unterlegt sind – auch um die »Opinion Trap« oder Meinungsfalle zu umgehen (siehe unten).
Schritt 5: Stakeholder Engagement
Der ESRS definiert Stakeholder als Einzelpersonen, Gruppen, Institutionen, […] auf die sich die unternehmerische Tätigkeit auswirkt oder die ihrerseits Einfluss auf diese haben können. Im Rahmen des Stakeholder-Engagements sollen deshalb zwei Gruppen identifiziert werden:
- Diejenigen, auf die sich die unternehmerische Tätigkeit auswirkt
- Beispiel dafür sind Einzelpersonen oder Gruppen, deren Interessen durch die unternehmerische Tätigkeit beeinflusst wird oder potenziell beeinflusst werden könnte (auch vor dem Hintergrund der Wertschöpfungskette des Unternehmens).
- Nutzer der Nachhaltigkeitsberichterstattung wie Investoren, Finanzierungspartner, bestehende oder potenzielle Geschäftspartner, Gewerkschaften, Sozialpartner, die Zivilgesellschaft, NGOs und weitere.
Manche Stakeholder können auch beiden Gruppen angehören. In jedem Fall sind die Auswirkungen auf alle relevanten Stakeholder zu berücksichtigen. Nicht vergessen werden dürfen dabei interne Stakeholder wie Aufsichtsratsmitglieder und die Geschäftsführung.
Grundsätzlich sollten sich das Stakeholder-Engagement auf belegbare Fakten (vgl. Schritte 3 und 4) konzentrieren. Wird das Stakeholder-Assessment von einer faktenbasierten Diskussion zum Austausch von Meinungen geöffnet, kann es schnell zu einer »Opinion Trap«, einer »Meinungsfalle« kommen. Damit würden die bisherigen Arbeitsschritte ad-absurdum geführt. Vielmehr sollte sich die Diskussion mit den Stakeholdern auf die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten konzentrieren, die zuvor als wesentlich für das Unternehmen eingestuft wurden.
Wie immer gilt, keine Regel ohne Ausnahme. Sollte es sich im Rahmen des Stakeholder-Engagements ergeben, dass ein Nachhaltigkeitsaspekt identifiziert wird, der in der bisherigen Bearbeitung nicht berücksichtigt wurde, aber potenziell wesentlich für das Unternehmen sein könnte, dann muss dieser mit aufgenommen werden.
Schritt 6: Die Ergebnisse präsentieren
Die gute Nachricht an dieser Stelle ist: Auch wenn es als Double Materiality Assessment bezeichnet wird, müssen keine zwei voneinander unabhängigen Berichte erstellt werden. Idealerweise werden die Ergebnisse als Matrix dargestellt oder grafisch aufbereitet. Damit ist ein schneller Überblick möglich, mit der auch komplexe Zusammenhänge übersichtlich dargestellt werden können. In einem Textteil werden diese zentralen Ergebnisse erläutert und mit Fakten untermauert (vgl. auch Schritt 4).
Schritt 7: Prozessdokumentation
Die CSRD erfordert eine »Limited Assurance« durch einen unabhängigen Prüfer. Nur die Ergebnisse zu präsentieren, reicht deshalb nicht mehr aus. Vielmehr muss auch der gesamte Prozess genau dokumentiert werden. Diese Dokumentation sollte sich nicht auf eine generelle Beschreibung der einzelnen Prozessschritte beschränken. Stattdessen sollte genau erläutert werden, wie die einzelnen Nachhaltigkeitsthemen identifiziert und bewertet wurden.
Dazu gehören auch Erläuterungen, wie und in welcher Form Informationen zu Nachhaltigkeitsaspekten während des Bewertungsprozesses aufbereitet, präsentiert und verwendet wurden. Ebenso welche Schwellen für die Einstufung als »wesentlich« herangezogen wurden und durch wen diese Einstufung vorgenommen wurde.
In diesem Zusammenhang kann es sinnvoll sein, die Anforderungen an die Prüfung zuvor abzuklären, um die Unterlagen so zu formatieren und aufzubereiten, dass die eigentliche Prüfung effizient erfolgen kann.
Bonus oder Schritt 7 + 1: Weiter beobachten
Wesentlichkeitsfaktoren können sich über die Zeit ändern. Nachhaltigkeitsaspekte, die heute als wesentlich eingestuft werden, sind dies in der Zukunft vielleicht nicht mehr. Andererseits können Nachhaltigkeitsaspekte, die bisher nicht als wesentlich eingestuft wurden, den Schwellwert übersteigen und wesentlich für das Unternehmen werden.
Deshalb ist es ein guter Ansatz, die individuelle Nachhaltigkeitslandschaft in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Dies kann beispielsweise eine Aufgabe für die Steuerungsgruppe werden, die nach dem Prozess die erforderliche Kompetenz und die notwendigen Einblicke in das Thema hat. Diese kann dann die als potenziell wesentlichen eingestuften Nachhaltigkeitsaspekte aufbereiten und der Geschäftsführung bzw. den Vorstandsmitgliedern vortragen. Mehr zu dem Begriff der »dynamischen Nachhaltigkeit« finden Sie in diesem Beitrag.
Zusammenfassung
Mit einer Wesentlichkeitsanalyse können wichtige Einsichten für die Unternehmensführung erschlossen werden. Wichtig ist die ganzheitliche Betrachtung sowohl der »Inside-out« als auch der »Outside-in« Perspektive. Ein besseres Verständnis dafür, welche Faktoren für ein Unternehmen wesentlich sind und wie diese einzuordnen sind, kann Beiträge zur Risikovermeidung, zur Nutzung von Chancen und vor allem zur Generierung langfristiger Wertschöpfungen leisten. Es lohnt sich, frühzeitig damit zu beginnen, um genügend Zeit für die Bearbeitung zu haben – denn insbesondere der Zeitbedarf sollte in keinem Fall unterschätzt werden.
Über NordESG
NordESG hat sich auf die Beratung zu ESG und Nachhaltigkeit in Deutschland, Europa und Nordamerika spezialisiert. Wir unterstützen Unternehmen dabei, ihre ESG- und Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln und zu implementieren. Wir unterstützen Unternehmen nicht nur dabei ihren Offenlegungspflichten wie der CSRD nachzukommen, sondern auch dabei ihre Nachhaltigkeitsstrategie proaktiv gegenüber ihren Stakeholdern wie Investoren, Geschäftspartnern, Kunden oder lokalen Gemeinschaften zu kommunizieren.
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