ISSB Update Februar 2023 Teil 2 – Nachhaltigkeit und Wesentlichkeit im Kontext von ISSB / IFRS, GRI und ESRS
Im ersten Teil dieser Serie (den wir hier verlinkt haben) haben wir die Kernkonzepte der vorgeschlagenen ISSB / IFRS S1 und S2 Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung vorgestellt. In diesem Teil befassen wir uns mit den Definitionen für die Begriffe »Nachhaltigkeit« und »Wesentlichkeit« im Kontext der ISSB / IFRS Standards. Dabei gehen wir auch Fragen der »Interoperabilität« nach und betrachten Übereinstimmungen und Unterschiede in den Definitionen dieser Begriffe im Zusammenhang mit dem weit verbreiteten GRI-Standard und dem künftigen »European Sustainability Reporting Standard« (ESRS).
ISSB / IFRS, GRI und ESRS – Ein kurzer Blick zurück
Zuvor werfen wir an dieser Stelle einen kurzen Blick zurück auf die Entstehungsgeschichte der einzelnen Reporting-Frameworks.
ISSB / IFRS | Die IFRS Foundation gründete das ISSB im Jahr 2021 mit dem Ziel, eine globale Baseline für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu entwickeln. Im März 2022 wurden die ersten Vorschläge der Berichtsstandards veröffentlicht. Das ISSB kann bei deren Entwicklung auf eine umfangreiche Wissensbasis bestehen aus CDSB, der Value Reporting Foundation, SASB und dem International Integrated Reporting Council zurückgreifen. Es wird damit gerechnet, dass die finalen Versionen der Berichtsstandards Mitte des Jahres 2023 veröffentlicht werden.
GRI | Die Global Reporting Initiative (GRI) wurde 1997 in Boston (USA) gegründet. Aktuell ist der Sitz in Amsterdam (Niederlande). Der GRI-Standard ist eines der am häufigsten genutzten Frameworks für die Nachhaltigkeitsberichterstattung weltweit. Die einzelnen Standards decken Querschnittsthemen, genauso aber auch Fragen zu Umwelt, Sozialem und Governance mit hoher Detailtiefe ab.
ESRS | Der European Sustainability Reporting Standard wurde von der EFRAG entwickelt, um eine einheitliche Grundlage für die Reportinganforderungen, die sich aus der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ergeben, zu schaffen. Wie der GRI-Standard bilden auch die 12 ESRS Standards neben Querschnittsthemen die Bereiche Umwelt, Soziales und Governance im Detail ab. Mitte des Jahres 2023 ist mit der endgültigen Adaption des ESRS zu rechnen.
ISSB / IFRS und der Begriff der Nachhaltigkeit
Eine einheitliche Definition für den Begriff »Nachhaltigkeit« zu entwickeln, scheint keine ganz einfache Aufgabe zu sein – oder wie Purvis, Maou und Robinson es in einem wissenschaftlichen Artikel zu dem Thema formulierten:
»In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der Veröffentlichungen zum Thema »Nachhaltigkeit« so stark angestiegen, dass die »Nachhaltigkeitswissenschaft« oft als eigenständiger Bereich angesehen wird […]. Dennoch bleibt ‚Nachhaltigkeit‘ ein offenes Konzept mit unzähligen Interpretationen und einem kontextspezifischen Verständnis.« [1] |
»The last 20 years have witnessed a surge in publications on ’sustainability‘, to the extent where ’sustainability science‘ is often seen as a distinct field […]. Yet despite this, ’sustainability‘ remains an open concept with myriad interpretations and context-specific understanding.« [1] |
Eine häufig genutzte Definition für »Nachhaltigkeit« geht auf die Brundtland-Kommission der Vereinten Nationen zurück:
»Die Bedürfnisse der Gegenwart zu befriedigen, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.« [2] |
»Meeting the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.« [2] |
Aus dieser Sicht erfordert nachhaltige Entwicklung »einen integrierten Ansatz, der neben der wirtschaftlichen Entwicklung auch Umweltbelange berücksichtigt.« [2]
Im Kontext des ISSB / IFRS Reporting Standards wird »Nachhaltigkeit« im Bezug auf Unternehmen wie folgt definiert:
»Die Fähigkeit eines Unternehmens, Ressourcen und Beziehungen nachhaltig zu erhalten und seine Abhängigkeiten und Auswirkungen innerhalb seines gesamten geschäftlichen Ökosystems kurz-, mittel- und langfristig zu managen« und als »Voraussetzung dafür, dass ein Unternehmen Zugang zu den benötigten Ressourcen und Beziehungen (z. B. finanzielle, menschliche und natürliche) hat und deren Erhalt, Entwicklung und Regeneration gewährleistet, um seine Ziele zu erreichen.« Diese Beschreibung »ermöglicht es einem Unternehmen, Investoren zu erklären, wie sich nachhaltigkeitsbezogene Auswirkungen, Risiken und Chancen auf seine Leistung und Aussichten auswirken können« und »baut auf Konzepten des Integrated Reporting Framework auf«. [3] | »The ability for a company to sustainably maintain resources and relationships and manage its dependencies and impacts within its whole business ecosystem over the short, medium and long term.« and as »A condition for a company to access the resources and relationships needed (such as financial, human and natural), ensuring their preservation, development and regeneration to achieve its goals.« This description »enables a company to explain to investors how sustainability-related impacts, risks and opportunities can affect its performance and prospects« and »builds on concepts from the Integrated Reporting Framework.« [3] |
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Unterschiedliche Blickwinkel auf die »Wesentlichkeit«
Wie bei der Definition von »Nachhaltigkeit« gibt es auch für die »Wesentlichkeit« viele verschiedene Antworten auf die Frage, was dieses Konzept eigentlich umfasst. Mehr dazu haben wir in unserem Blogpost über »Materiality Madness« zusammengefasst, der hier abgerufen werden kann.
ISSB / IFRS | Die Offenlegungsstandards verwenden dieselbe Definition für Wesentlichkeit wie die IFRS-Rechnungslegungsstandards, um sicherzustellen, dass Investoren die Risiken und Chancen im Nachhaltigkeitskontext einordnen können:
»Eine Information ist wesentlich, wenn davon auszugehen ist, dass das Weglassen, die falsche Angabe oder die Verschleierung dieser Information die Entscheidungen von Investoren beeinflussen könnte.« [3] | »Information is material if omitting, misstating or obscuring it could reasonably be expected to influence investor decisions.« [3] |
GRI | Die Definition der Global Reporting Initiative für Wesentlichkeit:
»Wesentliche Themen sind Themen, die die wichtigsten Auswirkungen einer Organisation auf die Wirtschaft, die Umwelt und die Menschen darstellen, einschließlich der Auswirkungen auf ihre Menschenrechte.« | »Material topics are topics that represent an organisation’s most significant impacts on the economy, environment, and people, including impacts on their human rights.« |
ESRS | Die »Doppelte Wesentlichkeit« ist ein Kernkonzept des European Sustainability Reporting Standards. Die im Vergleich umfangreichere Definition von Wesentlichkeit:
»Ein Nachhaltigkeitsaspekt ist unter dem Gesichtspunkt der Auswirkungen wesentlich, wenn er sich auf wesentliche tatsächliche oder potenzielle, positive oder negative Auswirkungen des Unternehmens auf Mensch oder Umwelt über einen kurz-, mittel- und langfristigen Zeithorizont bezieht. Zu den Auswirkungen gehören diejenigen, die das Unternehmen verursacht oder zu denen es beigetragen hat, sowie diejenigen, die durch seine Geschäftsbeziehungen direkt mit den eigenen Tätigkeiten, Produkten oder Dienstleistungen verbunden sind. Geschäftsbeziehungen umfassen die vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette des Unternehmens und sind nicht auf direkte vertragliche Beziehungen beschränkt. [ESRS 1–3]« und »Ein Nachhaltigkeitsaspekt ist aus finanzieller Sicht wesentlich, wenn er wesentliche finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmen auslöst oder auslösen kann. Dies ist der Fall, wenn er Risiken oder Chancen auslöst oder auslösen kann, die einen wesentlichen Einfluss auf den Cashflow, die Entwicklung, die Leistung, die Position, die Kapitalkosten oder den Zugang zu Finanzmitteln des Unternehmens im kurz-, mittel- und langfristigen Zeithorizont haben (oder wahrscheinlich haben werden). Risiken und Chancen können sich aus vergangenen oder künftigen Ereignissen ergeben und können Auswirkungen haben in Bezug auf: (a) Vermögenswerte und Schulden, die bereits in der Rechnungslegung erfasst sind oder aufgrund künftiger Ereignisse erfasst werden können; oder (b) Faktoren der Wertschöpfung, die nicht der Rechnungslegungsdefinition von Vermögenswerten und Schulden und/oder den damit verbundenen Erfassungskriterien entsprechen, aber zur Generierung von Cashflows und allgemein zur Entwicklung des Unternehmens beitragen.« [ESRS 1–3] | »A sustainability matter is material from an impact perspective when it pertains to the undertaking’s material actual or potential, positive or negative impacts on people or the environment over the short-, medium- and long-term time horizons. Impacts include those caused or contributed to by the undertaking and those which are directly linked to the undertaking’s own operations, products, or services through its business relationships. Business relationships include the undertaking’s upstream and downstream value chain and are not limited to direct contractual relationships.« [ESRS 1-3] and »A sustainability matter is material from a financial perspective if it triggers or may trigger material financial effects on the undertaking. This is the case when it generates or may generate risks or opportunities that have a material influence (or are likely to have a material influence) on the undertaking’s cash flows, development, performance, position, cost of capital or access to finance in the short-, medium- and long-term time horizons. Risks and opportunities may derive from past events or future events and may have effects in relation to: (a) assets and liabilities already recognised in financial reporting or that may be recognised as a result of future events; or (b) factors of value creation that do not meet the financial accounting definition of assets and liabilities and/or the related recognition criteria but contribute to the generation of cash flows and more generally to the development of the undertaking.« [ESRS 1–3] |
Zusammenfassung
Unterschiedliche Zielgruppen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung beeinflussen den Blickwinkel auf das Konzept der »Wesentlichkeit«. Während sich das ISSB / IFRS Framework auf Investoren als Hauptadressaten der Nachhaltigkeitsberichterstattung konzentriert, verfolgen die Frameworks von GRI und der ESRS einen Multi-Stakeholder-Ansatz. Entsprechend breiter ist der Scope für Themen, die als »wesentlich« identifiziert werden können. Dieser im Vergleich zur »einfachen Wesentlichkeit« größere Umfang trägt den Anforderungen der verschiedenen, über den Kreis von Investoren hinausgehenden, Stakeholdergruppen Rechnung und spiegelt sich auch im Konzept der »doppelten Wesentlichkeit« wider.
Die unterschiedlichen Ansätze und Definitionen für die Begriffe »Wesentlichkeit« und »Nachhaltigkeit« gehen über bloße Semantik hinaus. Der ISSB / IFRS ist als globale Baseline für die Nachhaltigkeitsberichterstattung vorgesehen. Im Vergleich zu den Berichtsrahmen von GRI und ESRS ergeben sich jedoch mögliche Unterschiede beim Scope und dem Umfang der Offenlegungsanforderungen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet hat der ESRS das Potenzial, die Offenlegungsanforderungen von ISSB / IFRS abzudecken. Künftige Entwicklungen könnten auch die »Outside-In« Perspektive in den ISSB / IFRS einbeziehen. In jedem Fall wäre die Interoperabilität (mehr dazu hier) der Berichtsstandards eine höchst willkommene Entwicklung, um die Vergleichbarkeit und den reibungslosen Austausch von Nachhaltigkeitsinformationen in einer globalisierten Welt sicherzustellen.
Die Relevanz für Unternehmen ergibt sich unter anderem aus folgenden Gesichtspunkten:
- Minimierung des Mehraufwands und der Reibungsverluste beim Reporting nach verschiedenen Berichtswerken.
- Reduktion von Compliance-Kosten – insbesondere für Nicht-EU-Unternehmen, wenn diese in erheblichem Umfang in der EU tätig sind und deshalb in Zukunft vor der Herausforderung stehen können, sowohl nach dem ISSB / IFRS als auch nach dem ESRS über ihre Nachhaltigkeitsperformance berichten zu müssen.
- Ansprache verschiedener Stakeholder-Gruppen, die über den Kreis von (potenziellen) Investoren hinausgehen.
Wir werden Sie in diesem Blog auch künftig über aktuelle Entwicklungen bei Offenlegungsstandards und Berichtswerken auf dem Laufenden halten.
Quellen und weitere Fundstellen
[1] https://link.springer.com/article/10.1007/s11625-018-0627-5
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NordESG hat sich auf die Beratung zu ESG und Nachhaltigkeit in Deutschland, Europa und Nordamerika spezialisiert. Wir unterstützen Unternehmen dabei, ihre ESG- und Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln und zu implementieren.
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